Klartext ist ein Sprachmonument, das ergreifende Protokoll einer Forschungsreise, die der Filmemacher Peter Liechti unternimmt zur Terra incognita einer Liebe, die ihm ebenso rätselhaft erscheint wie bedrückend, so unergründlich wie eigensinnig, so faszinierend wie kostbar: die Liebe seiner Eltern, ihr Leben als Ehepaar seit mehr als sechzig Jahren.
Der Sohn, selber an der Schwelle zum Alter, befragt Mutter und Vater getrennt – nach Alltäglichem und Grundsätzlichem, nach dem Lieblingsessen, Glücksmomenten, Einsichten, prägenden Erfahrungen. Er tut das nicht neutral, sondern als eminent Beteiligter, als Erinnernder, der sich allerdings weniger für das rein Faktische interessiert als vielmehr für die Sprache, in der es erzählt wird; so wirft er sein Netz und zieht Sprache an Land, lässt nicht nach, bis sich sprachlich manifestiert, was sich der Vater zum Beispiel vom Leib hält, was ihn offensichtlich umtreibt bis heute: sein Umgang als Grenzsoldat mit Flüchtlingen; so ringt er der Mutter die Erkenntnis ab, dass sie sich hätte wehren können, dass sie mitverantwortlich ist für die Beschädigtheit ihres eigenen Lebens.
In Klartext unterzieht Peter Liechti aber nicht nur die Liebe seiner Eltern, sondern auch seine eigene Sicht auf das Leben, seine Kindheit und Jugendzeit, einer Re-Lektüre, einer Re-Vision, mit spürbarer Anteilnahme für alle Beteiligten und einem neu gewonnenen Respekt für die Lebensleistung einer Generation, die sich konfrontiert sah mit ungeheuren politischen und sozialen Umwälzungen. Klartext ist der Rosetta Stone einer Liebes-, Familien- und Zeitgeschichte, in drei verschiedenen Sprachen erzählt: dreimal dieselbe Geschichte, dreimal anders empfunden; ein Sprachdenkmal, dessen Entzifferung zum persönlichen Abenteuer wird für uns alle.
Ruth Schweikert